Hier noch ein weitere Zeitungsartikel zum Thema Holzpreise und andere Energiepreise von 6.8.22 aus der Neuen Züri Zeitung (NZZ). Diese entspricht von Profil ungefährt der Süddeutschen Zeitung.
Hier der Artikel:
Kampf um ein warmes Wohnzimmer hat begonnen
Holz wird wegen der Energiekrise gehamstert wie WC-Papier zu Beginn der Corona-Pandemie – die Lager sind vielerorts leer
Daniel Gerny, Erich Aschwanden
«Derzeit ist kein Brennholz erhältlich» – «Bis im Oktober werden keine Bestellungen angenommen» – «Aufgrund der hohen Nachfrage bleibt unser Holzshop bis Ende August geschlossen»: So lautete der Tenor auf vielen Websites von Brennholz-Anbietern in der Schweiz. Bisher galt in diesem Geschäft eine eiserne Regel: Die meisten Leute bestellen ihr Brennholz erst dann, wenn die Tage im September kühler werden. Trotz Hitzewelle sind die Lager jetzt vielerorts schon im August leer. Die drohende Energiekrise hat den Markt komplett auf den Kopf gestellt. «Die Nachfrage übersteigt derzeit eindeutig das Angebot», erklärt Florian Landolt vom Verband der Schweizer Waldeigentümer.
Wie viel Holz in den kommenden Wochen und Monaten neu auf den Markt kommt, ist offen: Damit Holz verfeuert werden kann, muss es zunächst während ein bis zwei Jahren trocknen. Die Branche kann deshalb nur langsam auf die veränderte Nachfrage reagieren. Vor dem Winter 2022/23 erinnert deshalb vieles an die Situation zu Beginn der Corona-Krise: Weil die Leute nicht abschätzen können, was in der kalten Jahreszeit auf sie zukommt, hamstern sie, wo sie es für sinnvoll erachten. Nicht nur Scheiter fürs Cheminée und Schwedenöfen sind gesucht, sondern Holz in jeder Form.
Die Preise steigen
Beispielsweise Holzschnitzel und -pellets, die als Heizmaterial in den letzten Jahren immer beliebter geworden sind. Der Verkauf von Pelletfeuerungen mit einer Leistung von 5 bis 350 kW Leistung ist allein im ersten Quartal 2022 gegenüber demselben Zeitraum im Vorjahr um 80 Prozent gestiegen. «Warnung vor steigenden Pelletpreisen! Füllen Sie die Lager jetzt!», rät der Branchenverband Propellets.ch den Kunden deshalb, um Lieferengpässe in den kommenden Monaten zu vermeiden. Wer auf sinkende Preise hoffe, spekuliere wohl falsch. Auch das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) empfiehlt den Endkunden, ihre Lager bereits jetzt im Sommer zu befüllen. Die Versorgung mit Energieholz sei aber «vor allem wegen der Jahreszeit aktuell sichergestellt».
Laut der Geschäftsleiterin Sabine L’Eplattenier-Burri beherzigt ein Grossteil der Besitzer von Holzpellet-Heizungen diesen Rat. «Im Frühling ist der Verkauf harzig angelaufen, vor den Sommerferien hat er deutlich angezogen.» Für den Winter erwartet L’Eplattenier-Burri eine grosse Nachfrage. Limitierender Faktor ist nicht in erster Linie die Produktion von Holzpellets, sondern der Mangel an Pelletsilofahrzeugen für die Auslieferung. Zudem kam es bereits im vergangenen Winter zu Engpässen bei den 15-Kilo-Säcken, in denen Pellets im Detailhandel verkauft werden.
Doch auch wer jetzt sein Lager noch füllen kann, spürt die Auswirkungen der diversen Krisen, die die Welt derzeit in Atem halten. Kostete eine Tonne Holzpellets vor einem Jahr im Schnitt noch 333 Franken, so müssen Haus- und Wohnungsbesitzer heute rund 550 Franken auf den Tisch legen. Die Lage auf dem Markt ist paradox. Obwohl die Preise steigen, kaufen die Leute immer mehr. «Die Situation ähnelt der des Corona-Frühjahrs 2020, als Kunden Klopapier hamsterten und die Hersteller mit der Produktion nicht nachkamen», heisst es auf dem Portal Heizpellets24.ch.
Tatsächlich bestehe ein direkter Zusammenhang zwischen den beiden Krisen, stellt Landolt fest. Bereits während der Pandemie stieg der Holzverbrauch stark an. Weil die Leute zu Hause bleiben mussten, entdeckten sie ihre Cheminées wieder, wie Landolt erklärt. Gleichzeitig wurde mehr Geld in den Erhalt und die Erneuerung von Liegenschaften investiert – beispielsweise in Pelletfeuerungen. Die Corona-Krise hat das Holz als Brennmaterial zurück in Erinnerung gerufen. Mit Blick auf den Klimawandel und die drohende Energiekrise gewinnt es als Ersatz für Öl und Gas erst recht an Bedeutung.
Teilweise nimmt der Run auf Holz extreme Ausmasse an. Bis zu 15 Ster Holz werde von einzelnen Kunden bestellt, erzählt Landolt. Das entspricht umgerechnet mehr als sechs Tonnen. «Die Leute wollen sicher sein, dass sie gut durch den Winter kommen», beobachtet Landolt. Auch beim Brennholz sind die Preise deshalb bereits angestiegen, um ungefähr 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Paradoxes Verhalten
Wer sich kurzfristig mit einem Cheminée oder einem Pelletofen Wärme in die kalte Wohnung holen will, hat noch schlechtere Karten. «Der Ansturm auf diese Produkte ist momentan riesig», erklärt Simon Meister, Leiter Marketing und Kundenberatung bei der Kameg AG. «Wer heute einen Ofen bestellt, muss froh sein, wenn er im Februar geliefert wird. Realistischer ist März oder April. Für diesen Winter reicht es kaum noch.» Die Lager seien momentan praktisch leer geräumt.
Meister stellt fest, dass vor allem Kunden aus ländlichen Gebieten auf Cheminées als Wärmequellen setzen. Wer in der Stadt wohne, sei mit Feuer eher zurückhaltend. Dieses Verhalten ist insofern paradox, als vor allem Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner unter einem allfälligen Gasmangel leiden werden. In Zürich liegt der Anteil der Gasheizungen gemäss SRF bei 51 Prozent, in Bern bei 47 und in Basel bei 43 Prozent. Deutlich höher ist der Anteil der Wohngebäude, die mit Gas beheizt werden, in Biel (60 Prozent), Solothurn (65 Prozent) und Luzern (55 Prozent).
Die Städte sind deshalb besonders anfällig. Weil Cheminées und Öfen in den meisten Fällen nicht vorhanden sind, werden andere Alternativen stark nachgefragt. So berichtete die «Sonntags-Zeitung» über einen Run auf elektrische Heizöfen – was im Extremfall zu einer Bedrohung für die Stromversorgung führen könne: «Der Einsatz Tausender elektrischer Notheizungen kann zu grosser Instabilität für den Energiehaushalt der Schweiz führen», erklärte Michael Frank, Direktor des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE).
Tatsächlich sind laut dem Onlinehändler Galaxus/Digitec allein im Juli fast fünfmal so viele elektrische Heizkörper ausgeliefert worden wie im selben Monat des Vorjahres. Trotz gegenwärtiger Hitzewelle kurbelt die Angst vor einem kalten Winter mit Energielücken das Geschäft von Digitec kräftig an. Auch die Verkäufe von Stromgeneratoren (Plus gegenüber dem Vorjahresmonat 2021: 86 Prozent), Power-Stationen (+471 Prozent), Heizlüfter (+73 Prozent) oder Solarpanels (+257 Prozent) schiessen derzeit in die Höhe.
Kaufen auf Vorrat
Auch aus Sicht der Firma Vitogaz hat sich das Kundenverhalten seit dem Ausbruch des Krieges verändert, wie der Geschäftsführer Stefan Theiler auf Anfrage mitteilt. Vitogaz ist der grösste Anbieter von Flüssiggas in der Schweiz. «Anstelle der Preisdiskussion tritt der Aspekt der Versorgungssicherheit derzeit in den Vordergrund», beobachtet Theiler. Zwar stellt Vitogaz gegenwärtig keine überdurchschnittliche Nachfrage nach Gasflaschen fest, die bei einer Energielücke beispielsweise für den Betrieb des Grills eingesetzt werden können. Doch das könnte sich ändern. Laut Theiler hat es einen solchen Effekt im März unmittelbar nach Kriegsausbruch gegeben. Die grösste Nachfragesteigerung stellt Theiler aber bei industriellen Kunden fest, die ihre Gasversorgung mit dem Kauf von Propangas sicherstellen wollen.
Nicht nur kurzfristig sind Haus- und Wohnungsbesitzer auf der Suche nach Alternativen für ihre mit Öl oder Gas betriebenen Heizungen. Ein Indikator dafür sind die Gratis-Impulsberatungen «Erneuerbar Heizen», die das Bundesamt für Energie (BfE) seit Anfang April anbietet. Wie die BfE-Kommunikationsberaterin Beatrice Mader auf Anfrage erklärt, sind bis Anfang August insgesamt 3610 Gesuche für solche Beratungen eingegangen, der Grossteil davon – 3246 Gesuche – für Beratungen von Eigentümerinnen und Eigentümern von Einfamilien- oder kleinen Mehrfamilienhäusern. 364 Gesuche betrafen Beratungen von Besitzern grosser Mehrfamilienhäuser oder von Stockwerkeigentümerschaften.
Man darf gespannt sein, wie viele der in diesen Tagen gekauften Notheizungen im kommenden Winter zum Einsatz kommen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie unbenutzt im Keller oder auf dem Dachboden herumstehen, bleibt trotz düsteren Szenarien gross. Noch ist nämlich unklar, ob und wie stark die Schweiz von einer allfälligen weiteren Drosselung der Gaslieferungen aus Russland betroffen sein wird. Ausserdem muss bei einer Knappheit zuerst die Industrie zurückstecken, bevor es im Wohnzimmer kalt wird. Und doch: Es beruhigt die Nerven, wenn auch in den eigenen vier Wänden alles gegen die drohende Energiekrise vorgekehrt ist.
Aus dem E-Paper vom 06.08.2022