hier nochmals ein weiterer passende Artikel aus der Neuen Züri Zeitung vom 25.4.22
Die schweizer NZZ entspricht vom Profil her ungefähr der deutschen Süddeutschen Zeitung.
Wer renovieren will, braucht Geduld
Teures Material, lange Lieferfristen, kaum Personal – Hausbesitzer müssen bei Aufträgen an Handwerker mit deutlich höheren Kosten rechnen
Nelly Keusch
«Leider hat es einen Krieg gebraucht, damit die Menschen sich Gedanken über erneuerbare Energien machen», sagt Michael Hügli, «einen Krieg, grosse Unsicherheit und steigende Preise für Öl und Gas.» Hügli ist Managing Director von buildigo.ch, einer Vermittlungsplattform für Handwerker. Und die kann sich vor Anfragen derzeit kaum retten. Vor allem die Nachfrage nach Wärmepumpen und Solaranlagen ist laut Hüglis Schätzungen um 30 bis 50 Prozent höher als im Vorjahr.
Die Auswirkungen des Krieges beschränken sich allerdings nicht auf den Energiebereich. Die gesamte Baubranche ist betroffen. Wer in diesem Jahr Renovierungsarbeiten vornehmen will, muss sich unter Umständen auf lange Wartezeiten einstellen – und deutlich höhere Preise. Mehrere Faktoren kommen derzeit zusammen: eine hohe Nachfrage, bestehende Personalengpässe durch den Fachkräftemangel, gestiegene Energiepreise und Lieferverzögerungen durch den Ukraine-Krieg sowie unterbrochene Lieferketten durch Lockdowns in China. All diese Faktoren beeinflussen die einzelnen Branchen unterschiedlich stark.
Solaranlagen sind sehr gefragt
Bereits Ende des vergangenen Jahres sei die Nachfrage nach Photovoltaik-Anlagen angestiegen, vor allem durch die Angst vor einem drohenden Blackout, sagt David Stickelberger, Geschäftsführer beim Branchenverband Swissolar. Der Kriegsausbruch hat das ohnehin hohe Interesse an erneuerbaren Energien nun weiter befeuert. Die Auftragsbücher der Handwerker sind voll. Wer in diesem Jahr noch eine Solaranlage installieren lassen will, ist in der Regel bereits zu spät dran. Das liegt vor allem am Personalmangel. «Das Credo ist momentan: ‹Bringt mir nicht Aufträge, bringt mir Leute›», fasst Michael Hügli die Situation zusammen. Viele Solarbetriebe hätten für dieses Jahr bereits die Tore dicht gemacht, weil sie keine Aufträge mehr annehmen könnten.
Und selbst diejenigen, die für dieses Jahr noch einen Installateur buchen konnten, müssen sich auf lange Wartezeiten einstellen: Wegen der anhaltenden Schwierigkeiten bei Lieferungen aus Asien fehlen Wechselrichter, um die Anlage ans Stromnetz anzuschliessen, sowie Batteriespeicher. Auf Letztere muss man bis zu acht Monate warten, erklärt Stickelberger. Zudem dürften die Preise für die Endkunden ansteigen: Derzeit müsse man mit einem Preisaufschlag von bis zu 20 Prozent rechnen. Bauteile, Elektronik, Transportkosten – alles sei in den vergangenen Wochen und Monaten teurer geworden.
Viel Arbeit für Elektriker
Wegen der hohen Nachfrage sei es gut möglich, dass Kunden derzeit länger als üblich auf einen Elektriker warten müssten, sagt Beat Voigtmann vom Branchenverband EIT.swiss. Das momentane Umdenken führe dazu, dass viel Arbeit auf die Branche zukomme. Nicht alle Elektriker seien in der Lage, Solaranlagen zu installieren, weshalb die Nachfrage sich auf wenige Schultern verteilten.
Viele Betriebe dürften wohl versuchen, ihre Stammkunden zuerst zu betreuen, um Dienstleistungen im Bereich Service und Unterhalt schnell zu lösen. Neukunden und Kunden mit grösseren Projekten müssen sich deshalb wohl etwas länger gedulden, aus Wochen könnten dann Monate werden.
Heizungen ohne Preisgarantie
«Die Leute wollen Putin nicht mehr finanzieren», sagt Christian Brogli, Pressesprecher beim Verband Suissetec. Auch die steigenden Energiepreise dürften ihren Teil dazu beigetragen haben, dass die Nachfrage nach Wärmepumpen in die Höhe schiesst. Hier sorgt ebenfalls der Personalmangel dafür, dass die Auftragsbücher der Installateure bis Ende Jahr gefüllt sind. Viele nehmen keine neuen Aufträge mehr an.
Hinzu kommen Lieferengpässe, je nach Modell müssen Kunden zwischen drei und sechs Monate auf eine Wärmepumpe warten. Ursprünglich vereinbarte Preise können dabei nicht mehr garantiert werden. «Die Preisgarantie ab Bestellung gilt nicht mehr, die Preise ändern sich ständig», sagt Philipp Hauser, Heizungsunternehmer aus Glarus. «Man ist froh, wenn man überhaupt etwas geliefert bekommt.»
Auch andere Bereiche sind betroffen: Wer sein Haus etwa an ein Fernwärmenetz anschliessen möchte, muss laut dem Zürcher Energieunternehmen 360° zwischen vier und sechs Monate auf eine Wärmeübergabestation warten, was einer Vervierfachung der Lieferzeit entspricht.
Fenster deutlich teurer
Wenn man Energie sparen will, kann es sinnvoll sein, zunächst die Fassade besser zu isolieren. Der Einbau neuer Fenster kann dazu einen grossen Teil beitragen. Doch auch das ist deutlich teurer geworden. Laut Michael Hügli sind die Materialkosten für Glas alleine im April um bis zu 50 Prozent gestiegen. Holz, Kunststoff, Glas, Aluminium – so gut wie alle benötigten Werkstoffe für Fenster sind von der Steigerung betroffen. Bei Glas etwa macht Energie – also Gas – einen Grossteil der Herstellungskosten aus.
Die Kunden müssten daher mit Preissteigerungen von 15 bis 20 Prozent rechnen, sagt Sandro Odermatt, Inhaber Odermatt-Gruppe für Fenster und Türen. Wegen Unterbrechungen in der Lieferkette betrage die Wartezeit für neue Fenster zwischen 12 und 18 Wochen. So lange kann Odermatt die Preise zurzeit aber nicht garantieren. Er habe deswegen die Gültigkeitsdauer seiner Offerten heruntergesetzt, von zwei bis vier Monaten auf teilweise nur eine Woche.
Für viele private Bauherren, so Odermatt, seien die Preissteigerungen ein grosses Problem. «Gerade bei grösseren Objekten, die lange im Voraus geplant werden, hat man sich jetzt um bis zu zehn Prozent verspekuliert.»
Engpässe bei Bad und Böden
Der Krieg in der Ukraine treibt auch die Preise für Bodenbeläge in die Höhe. Ein Beispiel sind keramische Wand- und Bodenplatten, für deren Herstellung viel Gas verwendet wird. «Seit Anfang des Jahres sind die Preise explodiert», sagt Franziska Bürki, Produktmanagerin beim Baufachhändler Sabag. Einige Werke hätten die Produktion bis mindestens zum Sommer eingestellt. Dies wegen der hohen Energie- und Transportkosten, aber auch wegen eines Mangels an Kaolin und Ton – wichtige Rohstoffe, die zu grossen Teilen aus der Ukraine importiert würden.
Gerade bei Projekten, die schon in Arbeit seien, müssten Kunden nun damit rechnen, dass sie nicht mehr die im Voraus gewählten Platten für ihr Bad bekommen könnten. Und dass sie tiefer in die Tasche greifen müssten: Bürki schätzt, dass ein neues Bad im Schnitt bis zu zwanzig Prozent mehr kosten kann als noch im Vorjahr.
Auch wer einen neuen Parkettboden verlegen will, könnte Schwierigkeiten bekommen. Das Parkett, das hierzulande verbaut wird, kommt zu grossen Teilen aus Weissrussland und der Ukraine, weshalb grosse Lieferengpässe bestehen. Laut Patrick Müller vom Branchenverband Suissetec versuchten die Unternehmer derzeit alles, um zu den heutigen Preisen ihre Lager zu füllen. Er geht davon aus, dass die Situation noch mindestens die nächsten sechs Monate angespannt bleibt.
NZZ vom 25.04.2022